Das Ostsee-Festival der Country Music 1984 – 2009

Schleswig-Holstein und Country Music – das sind zwei Begriffe, die für viele ungefähr so viel gemeinsam haben wie Bayern mit olympischen Segelwettbewerben. Papa hatte sich vorgenommen, daran etwas zu ändern, als wir im April 1984 mit Sack und Pack aus dem hessischen Rodenbach an die Ostsee zogen.

Country Music auf der Reihenhausterrasse

Papa ist großer Country Music Liebhaber, besonders wenn sie live dargeboten wird. Eigentlich war er in den 1970ern und 80er Jahren als Handelsvertreter für Hotelbetten und -textilien unterwegs. In dieser Tätigkeit lernte er während einer Hotelveranstaltung die Band „Drifters Caravan“ kennen, eine der ältesten Country Bands Deutschlands. Und als Mama ihm nach drei Jungs 1982 endlich eine Tochter schenkte, holte er die Gruppe kurzerhand für ein Konzert auf die winzige Terrasse der Reihenhaussiedlung „In der Gartel“ in Rodenbach. Die Nachbarn hatten ihren Spaß, und Papa auch.

Das erste Konzert an der Ostsee

Als wir dann 1984 nach Schönberg/Ostsee zogen, damals mit 4000 Einwohnern noch etwas gemütlicher als heute, dauerte es nicht lange, bis das erste Konzert für die Öffentlichkeit auf die Beine gestellt wurde – natürlich mit Drifters Caravan. Der Saal von „Witt’s Gasthof“ in Krummbek wurde gebucht und bei der Gemeinde eine Veranstaltung angemeldet. Und die Antwort des Sachbearbeiters auf sein Anliegen erzählt Papa auch heute noch immer wieder: „Country Music – so etwas brauchen wir hier nicht.“ Ob das wirklich so gesagt wurde, weiß keiner, aber wenn er es so oft wiederholt hat, muss es eigentlich stimmen. Das Konzert war dann mit ca. 30 zahlenden Zuschauern auch „eher mäßig“ besucht, aber davon ließ Papa sich nicht beirren. Dann wird die Sache eben größer aufgezogen!

Der König der Trucker in der Reithalle Schönberg

Drifters Caravan war nämlich nebenbei auch noch die Begleitband des amerikanischen Königs der Trucker, Dave Dudley, wenn dieser durch Deutschland tourte. Dave Dudley sang in den USA über das Leben der Fernfahrer und hatte mit „Six Days On The Road“ einen seiner größten Hits, der in Amerika Platz 2 der Country Charts erreichte und sich auch in den Pop Charts platzieren konnte. In Deutschland hatte er eine gewisse Bekanntheit durch die Hamburger Band „Truck Stop“ erreicht, die ihn 1978 mit dem Song „Ich möcht‘ so gern Dave Dudley hör’n“ geehrt hatte.

Ein geeigneter Veranstaltungsort war auch schnell gefunden: die Reithalle des Probsteier Reitervereins. Und tatsächlich platzte sie aus allen Nähten, als Dave Dudley 1985 stilecht mit einem Truck in die Schönberger Reithalle gefahren wurde. Das 1. Internationale Country Music Festival war geboren! Es lief noch nicht alles perfekt, so fiel auch mal der Strom aus, aber die Country Music war in Schönberg angekommen. Dave Dudley kam dann 1989 noch einmal nach Schönberg, davon haben wir ein paar Videos digitalisieren können, die lange auf einer kopierten VHS-Kassette schlummerten:

Drifters Caravan 1989: Der Wilde, Wilde Westen Fängt Gleich Hinter Schönberg An
Drifters Caravan 1989: Ich möcht‘ so gern Dave Dudley hör’n
Dave Dudley 1989: Six Days On The Road

Ostseehalle und Zirkuszelt mit den Grand Ole Opry Stars

Ab dem Jahr 1987 begann Papa, bei den Künstlern der Grand Ole Opry zu wildern, allen voran Wanda Jackson („Let’s Have A Party“). Die telefonischen Verhandlungen mit ihrem Ehemann Wendell Goodman sind legendär. Papa hat bei den Gesprächen mit Amerika immer so laut gesprochen, dass man ihn eigentlich auch ohne Telefon verstanden hätte. „Hello Wendell? Here is Helmut. No Suite in se hotel.“ Wendell wollte im Hotel immer eine Suite für seine Frau, aber die bekam er nie. Ich weiß auch nicht, ob es in Schönberg überhaupt ein Hotel mit einer Suite gibt.

1987 machte das Festival Stippvisite in der Ostseehalle Kiel, natürlich in abgespeckter Form. Weitere Künstler dort waren George Hamilton IV und Billy Walker. Vor allem Billy Walker war ein sehr sympathischer, nahbarer Typ. Auf der Bühne stets schick in Schale, aber es gibt auch ein tolles Foto, wo er beim Soundcheck in Jeans mit dem Stuhl auf einem Bierfass sitzend fotografiert wurde. Leider kam Billy Walker 2006 bei einem Autounfall ums Leben.

Im Juli 1988 fand das Festival über drei Tage in einem Zirkuszelt am Schönberger Strand statt. Auch Wanda Jackson und Billy Walker waren wieder dabei. Hier kommt sein Hit „Charlie’s Shoes“, live aus dem Zirkuszelt am Mittelstrand, begleitet von Drifters Caravan und unterstützt von Billys Gitarristen Billy Johnson:

Billy Walker: „Charlie’s Shoes“ 1988 im Zirkuszelt am Schönberger Strand

Die 90er: Schottische Country Music in der eigenen Firmenhalle

Nach zwei erneuten Abstechern 1989 und 1990 in die Reithalle Schönberg wurde das Festival in „Ostsee-Festival der Country Music“ umbenannt und fand fortan in der eigenen Lagerhalle der Firma Sleep&Dream statt. Eigentlich war es ja eine Lagerhalle für Hoteltextilien, und deshalb war es auch jedes Jahr ein Heidenaufwand, die ganze Halle auszuräumen, die Holzbühne aufzubauen, die ein Tischler angefertigt hatte, Tische und Bänke aufzustellen, die Western-Bar einzurichten, wo Mama Kaffee und Kuchen servierte. Die Tage vor dem Festival waren immer voller Arbeit, aber mindestens genauso viel Vorfreude, wenn man Tag für Tag sah, wie das Veranstaltungsgelände immer mehr Form annahm, die Bühne stand, am Vortag die Technik aufgebaut wurde, die häufig von der Firma OPUS aus Kiel geliefert wurde.

Den Getränkeverkauf haben wir immer in eigener Hand mit der Familie und Freunden organisiert und dabei schon sehr früh auf Glaskrüge statt Plastikbecher gesetzt. Grillstand und Pommes wurde von wechselnden Caterern bedient, z.B. der Schlachterei Schierer aus Probsteierhagen. Manchmal haben wir aber auch selbst gegrillt, und dann gab es nach dem Festival zuhause zwei Wochen lang Hacksteaks oder Mühlheimer Mühlrädchen zum Mittag, damit wieder Platz in die Tiefkühltruhe kam.

Besonders geprägt wurde das Ostsee-Festival in den 90er Jahren von der schottischen Band Colorado, die fast jedes Jahr in Schönberg zu Gast war, ab und zu auch mit dem Dudelsackspieler Bobby Coghill, Papa von Colorados Akkordeon- und Steelgitarristen Bryan Coghill. Zu ihren besten Zeiten verbreitete Colorado eine Riesenstimmung in der Schönberger Festivalhalle und war regelmäßig ein Höhepunkt des Abends. Einen guten Teil der Gage soll die Band dem Vernehmen nach in derselben Nacht in der Dorfkneipe „Black&White“ wieder versetzt haben.

Aber auch Bill Conlon & Emerald aus England mit dem brillianten Gitarristen John Stannard oder Inger Nordström & Rhinestone Band aus Schweden waren mehrfach zu Gast. Eines meiner persönlichen Highlights war der akustische Auftritt von Joe Sun & Brent Moyer in Schönberg mit dem charakteristischen Gesang von Joe Sun und den unwiderstehlichen Gitarrenlicks von Brent Moyer. Zum Zuhören und Dahinschmelzen!

Colorado in Schönberg: Scottish Instrumental
Colorado in Schönberg: Lousiana Saturday Night
Colorado mit Bobby Coghill in Schönberg: Dark Island
Bill Conlon & Emerald: Buck Owens Medley
Joe Sun mit Colorado & John Stannard: Johnny B. Goode
Inger Nordström & Rhinestone Band: Sylvie Marie
Joe Sun & Brent Moyer: Tennessee Waltz
Joe Sun & Brent Moyer – Knockin‘ On Heaven’s Door
Joe Sun & Brent Moyer – Ghostriders In The Sky

Gospel beim Country Music Festival

Im Jahr 1996 ergab es sich, dass ein gebuchter Hauptact kurzfristig ausfiel. So kurz vor dem Festival adäquaten Ersatz aufzutreiben, ist natürlich schwer, weil die Künstler, die auf Tour sind, an den Wochenenden natürlich schon gebucht sind. Zufällig ergab es sich aber, dass die Formation „The Golden Gospel Singers“ unter dem legendären Bandleader Bob Singleton am Montag nach dem Festival ein Konzert in Kiel hatten und für das Wochenende noch frei waren. Da wurde nicht lange gefackelt und kurzerhand eine Gospel-Band für das Country Music Festival gebucht.

Die Cowboyhüte staunten sicher nicht schlecht, als die Sängerinnen und Sänger in ihren blauen Roben auf der Bühne erschienen. Aber wie sagte Bob Singleton: „The Golden Gospel Singers, …ah at a Country Music Festival… come on yeah… we’ll go… and sit there….and we’ll gonna be very, very quiet…….eh eh… NOT TODAY!“ Die Golden Gospel Singers haben eine schier unglaubliche Stimmung in die Schönberger Halle gebracht, allen voran natürlich durch die Aura von Bob Singleton, der sein Publikum fest im Griff hatte und sich nicht zu schade war, sogar Liegestütze auf der Bühne zu machen.

Die Golden Gospel Singers kamen 2009 in anderer Formation noch einmal zum Ostsee-Festival, diesmal leider ohne Bob Singleton, der im Jahr 2008 verstorben war. Es war auch wieder ein guter Auftritt, aber an Bob Singleton konnte der junge Bandleader nicht heranreichen.

The Golden Gospel Singers: The Upper Room
Golden Gospel Gymnastic
Glory, Glory Hallelujah – Amazing Grace

Lynn Anderson in Schönberg

Manchmal half auch die geographische Nähe zu Dänemark, um die Künstler nach Schönberg zu holen. In Dänemark ist Country Music viel populärer als in Deutschland, und in Silkeborg gibt es ein großes Country Festival, welches es durch den Scandinavian Country Club immer wieder schafft, Interpreten zu gewinnen, deren Namen eine Nummer größer sind als „Colorado“ und „Bill Conlon“. Wenn man sich dort aber an den Tourenplan der Künstler dranhängte, konnte so mancher Künstler zu einem Abstecher an die Ostsee überzeugt werden.

So war es auch im August 2001 mit Lynn Anderson. Die Verhandlungen im Vorfeld waren zäh, und zwischendurch kam auch mal eine E-Mail mit dem Betreff „CANCELLATION“. Aber letztlich hat es doch geklappt. Auf das Plakat schrieben wir im wesentlichen nur: „Lynn Anderson“ und „Rose Garden“, neben einem Foto von ihr. Das reichte, damit das Publikum wusste, wer das ist. „Rose Garden“ war so etwas wie ihr One Hit Wonder, und was für eins! Der Nr. 1 Hit hielt sich 1970 für 20 Wochen in den Billboard Country Charts. Den spielte sie in Schönberg natürlich auch, aber auch Cover Songs wie „Rocky Top“ und „Top Of The World“, die, wie ich finde, gut zu Ihrer Stimme passen.

Leider haben wir keine Videos von dem Auftritt. Fotos werde ich demnächst mal raussuchen.

The Bellamy Brothers im Seefischmarkt Kiel

Plakat des 18.Ostsee-Festivals 2005 mit den Bellamy Brothers, Mike Bella, Kim Carson und Power Man's Grave

Die bekanntesten Interpreten, die wir zum Ostsee-Festival der Country Music nach Kiel lotsen konnten, waren im August 2005 die Bellamy Brothers. Wenn du von denen noch nichts gehört hast, musst du bei der nun folgenden Information ganz stark sein: „Ein Bett im Kornfeld“ ist ein Cover-Song! Das Lied heißt im Original „Let Your Love Flow“ und ist einer der größten Hits der Bellamy Brothers!

Natürlich spielte uns auch diesmal wieder Silkeborg in die Hände. Und es war eigentlich ganz einfach: Wir schickten abends den örtlichen Reisebusunternehmer nach Silkeborg und sagten der Band, das ist Euer Bus, der Euch zum Hotel bringt. Und schwupps waren sie in Kiel, und wo sie schon mal da waren, konnten sie auch ein paar Lieder singen.

Ganz so einfach war es natürlich nicht. Und obwohl es natürlich einen ordentlichen Vertrag gab, wollten sie zunächst nicht in den bereitgestellten Bus einsteigen, der sie wie vereinbart von Silkeborg nach Kiel bringen sollte. Die Bellamy Brothers bestanden nämlich auf einen Bus mit Schlafkojen. Und obwohl sie bis zur Anzahl und Art der Getränke im Backstage Bereich alles vertraglich geregelt haben, hatten sie in punkto Bus den Vertrag wohl nicht so genau gelesen. Denn Schlafkojen waren erst ab 4 Stunden Busfahrt vereinbart. Und von Silkeborg nach Kiel sind es auch mit dem Reisebus schlappe 3 Stunden. Und Liegesitze gab es sogar auch! Vertraglich also alles wie vereinbart.

Irgendwann konnte die Fahrt dann doch losgehen, und die Band wurde standesgemäß im Maritim Hotel in Kiel abgeliefert. Irgendwie schwante Papa, dass damit noch nicht alles ausgestanden war. Und so schickte er am nächsten Vormittag einen Fahrer zum Hotel, der die Instrumente der Band schonmal zum Festivalgelände brachte. Das war möglicherweise der entscheidende Kniff, um die Bellamy Brothers auch wirklich zum Auftreten zu bewegen. Die Musiker ließen sich dann auch ausführlichst Zeit beim Soundcheck. Das sprengte zwar den kompletten Soundcheck-Plan, aber es hat sich auch gelohnt. Der Sound war astrein beim Konzert, die Bellamys hatten eine hervorragende Band um sich geschart. Sie selbst spulten eher gelangweilt ihre Songs herunter, boten aber immerhin alle bekannten Hits wie Let Your Love Flow, Crossfire, If I Said You Had A Beautiful Body, I Need More Of You usw. Und Autogramme gab es danach auch. Einer unserer treuesten Stammgäste, Hans W., meinte nach dem Auftritt, das erste Stück „Old Hippie“ habe ihm mit Abstand am besten gefallen. Aber die Cajun-Band „Marc & The Boiled Crawfish“, die das Festival eröffnet hatte, habe ihm sowieso viel besser gefallen.

Videoaufnahmen vom Auftritt der Bellamy Brothers haben wir leider nicht. Es war zwar ein Kamerateam von RTL Nord da, die Aufnahmen haben sie sich auch extra bezahlen lassen. Aber leider war es im Nachhinein nicht möglich, bei RTL einen Mitschnitt zu bekommen. Man hat gesehen, dass im Publikum Leute eine Kamera mitgebracht hatten, vielleicht vom Bellamy Brothers Fanclub aus Nürnberg, die extra für das Festival angereist sind. Also wer das hier liest und Aufnahmen von diesem Konzert der Bellamy Brothers in Kiel hat, der darf sich gerne melden. Gibt auch keinen Ärger, versprochen!

Übrigens war das Festival 2005 die einzige Veranstaltung, für die wir jemals Radiowerbung geschaltet haben. Wenn sie mehr Zuschauer gebracht haben sollte, dann hat die Werbung mindestens das ganze Geld gekostet, das diese Zuschauer gebracht haben.

Johnny Cash…pardon George Canyon beim Ostsee-Festival

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